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Vom Switchen der Zeiten
oder die Geschichte vom Zauberspiegel

Es war einmal ein kleiner, aber wohlhabender König. Denn er war ein König über ein riesiges Land. Und als König über ein großes Land hatte er einen klugen und unerschrockenen Berater.

Als der König in die Jahre kam, riet ihm sein kluger Berater zu heiraten, denn ein König brauche eine schöne Königin, die das Volk mit »aaah« und »oooh« bewundern könne und außerdem brauche der König mindestens drei Söhne, die einmal sein Königreich erben sollten.

Der König war einverstanden, setzte eine Anzeige in die Zeitung, in der stand:

»Königin für den kleinen König gesucht, die schön ist und dem König drei Söhne schenkt.«

Der Berater meinte noch, dass es doch nicht allein auf die Schönheit ankäme, es wäre auch wichtig, dass die künftige Königin das Herz einer guten Fee habe. Er selbst wisse, dass die Waldgeister, die seit ewigen Zeiten in dem finsteren Hexenwald lebten, über einen Zauberspiegel verfügten. Dieser Zauberspiegel zeigt nicht nur die äußere Schönheit eines Menschen, sondern auch das Herz eines Menschen.

Der König hörte auf seinen Berater und fügte als Kleingedrucktes der Anzeige hinzu: »Voraussetzung: Ein gutes Herz«. Dann bat er seinen Berater, sich aufzumachen in den finsteren Hexenwald und die Waldgeister um den Zauberspiegel zu bitten.

Gesagt, getan. Während der König - auf die gleiche oder ähnliche Art, wie es Könige im Märchen immer tun – unter den vielen Bewerberinnen eine sehr schöne Königin auswählte, zog sein unerschrockener Berater in den Hexenwald, rief die Waldgeister und trug sein Anliegen vor. Die Waldgeister freuten sich zu hören, dass der kleine König heiraten will und versprachen, am Morgen der Hochzeit den Zauberspiegel als Geschenk zu bringen.

So bereiteten der kleine König und sein kluger Berater und alle Bediensteten des Königs ein märchenhaftes Hochzeitsfest vor. Als die Braut am Morgen der Hochzeit mit einer Kutsche in den Palasthof gebracht wurde, rief das Volk »aaah« und »oooh«, so schön war sie.

Zur gleichen Stunde zog auch ein weißer Nebelschleier aus der Richtung des Hexenwaldes in den Garten und es rauschte und plätscherte leise. Und als sich der Nebel hinweg hob und in den Hexenwald zurückzog, da war im Garten ein kleiner klarer See. Alle staunten und liefen in den Garten, den See anzuschauen. Und als die Braut hineinsah, entdeckten alle in ihrem Spiegelbild eine gute Fee. Da wussten alle, dass sie nicht nur schön war, sondern auch ein gutes Herz hatte.

Der kleine König heiratete die Königin und die Königin schenkte dem kleinen König drei Söhne. Die Königin ging sehr oft in den Garten und betrachtete sich im See, denn sie war immer noch sehr schön. Dennoch wünschte sie sich Schmuck, damit ihre Schönheit noch mehr hervorgehoben werde. Der kleine König schenkte ihn ihr. Die Königin wünschte sich Markenkleidung und der König schenkte sie ihr. Die Königin wünschte sich immer mehr.

Sie wünschte sich ein weißes Pferd, einen schnellen Flitzer und eine Weltreise – der König schenkte es ihr. Dadurch kam sie immer weniger in den Garten zu dem See und sie blickte auch gar nicht mehr so gerne hinein, denn sie hatte einige Veränderungen wahrgenommen, die nicht so schön waren. Deshalb mied sie den See bald ganz, wünschte sich lieber ein Smart-Phone, High-Speed-Internet und ein Tablet_PC und der König schenkte es ihr gerne.

Nun kam die Zeit, dass die Königssöhne erwachsen wurden und der König teilte sein Reich in drei Teile und wollte es seinen Söhnen schenken. »Halt«, rief da die Königin »wie kannst du das Reich aufteilen und verschenken, ohne daran zudenken, mir auch einen Teil zu schenken?«

Der König verstand nicht. Es hatte ihnen doch ein ganzes Leben lang gehört – ihnen und ihren Söhnen – und wenn er es jetzt in drei Teilen an die Söhne vererbe, wie es in Märchen üblich ist, dann gehörte es nach wie vor auch den Eltern. »Nein, nein« rief die Königin, »ich will was sie bekommen auch haben – also ein Drittel!« So etwas stellte nicht nur die ganze Mathematik auf den Kopf, viel schlimmer, der kleine König wusste sich keinen Rat mehr. Auch der kluge Berater brauchte jetzt einen klaren Kopf und in solchen Augenblicken zog er sich gern in den Garten zurück, um frische Luft zu schnappen. Obwohl schon etwas Abendnebel aufzog, folgte die Königin dem Berater eiligen Schrittes, denn sie wollte, dass er dem König rate, ihr ein Drittel des Königreiches zu schenken. Der Berater kam an den See und ebenfalls die Königin.

Da sah der Berater wie das Spiegelbild der Königin im See erschien und es sah ganz und gar nicht aus wie das Bild einer guten Fee. Viel schlimmer: Das Spiegelbild der Königin zeigte ein böses Herz und der Berater sah, dass die Königin zu einer bösen Fee geworden war.

Der Nebel zog über den See und als er davon gezogen war, hatte er die böse Königin mit sich genommen in den Hexenwald.

»Es ist wie es ist« sagte der Berater zum kleinen König, »Menschen ändern sich und wir wollen es manchmal nicht bemerken.« Also bekamen die drei Söhne je ein Drittel des riesigen Landes und nachdem der König seine drei Söhne gut verheiratet hatte, merkte er, wie er mit der Zeit einsam und immer einsamer wurde. Er wollte nicht bitter und böse vor Einsamkeit werden und beschloss wieder zu heiraten.

Gemeinsam mit seinem Berater holte er die alte Zeitungsanzeige hervor und korrigierte sie etwas: »Königin für den kleinen König gesucht, die schön ist und dem kleinen König drei Söhne schenkt« und jetzt fügten sie fettgedruckt dazu: »Voraussetzung: Sie muss täglich in den Zauberspiegel blicken.«

Es meldeten sich diesmal nicht sehr viele Bewerberinnen, vielleicht weil sich viele vor dem Zauberspiegel fürchteten oder weil der König bereit sein ganzes Reich aufgeteilt hatte. Eine jedoch störte es nicht, dass der kleine König kein wohlhabender König mehr war und sie fürchtete sich auch nicht, in den Zauberspiegel, den See der Waldgeister, zu blicken.

Zweifellos, diese Frau gefiel dem König und er konnte sich vorstellen, sie zu seiner Königin zu machen. Doch leider – so sagte sie dem König – könne sie ihm keine Söhne schenken. Sie habe aber eine Tochter, die seine Stieftochter sein könnte.

Der König zog die Stirn kraus. Er kannte all die Märchen mit Stiefkindern und Stiefvätern – es ging nie gut aus. »Die Zeiten ändern sich«, sagte die Frau. Der kleine König blickte fragend seinen Berater an. »Es ist an der Zeit, dass sich auch die Märchen ändern«, meinte der Berater und der kleine König freute sich, dass er einen so klugen Berater hatte.

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